Zwei Leseproben
zu
"Festung des Teufels" (Band 1)
Auszug
aus Kapitel 1 "Abtei des Mondes"
Dreizehnter des Fairus im Jahre des Drachenblutes 56.
Ein dunkler, nicht enden wollender Regen legte sich seit Tagen
über die sanften Hügel
„Monshires“,
durchnässte die sattgrünen Wiesen und Wälder
und
ließ die kleinen Bäche zu reißenden
Strömen
anschwellen.
Die Frühjahrsstürme kamen zeitiger und mit einer
ungewohnten
Gewalt. Teile der aufgeweichten Erde wälzten sich in
dunkelbraunen, trägen Lachen in die Täler hinab und
machten
die wenigen Pfade unpassierbar.
Der Orkan schlug tiefe Schneisen in die Wälder. Auf diesen
Schneisen floss das Regenwasser so rasant ab, dass es weit verzweigte
Rinnen in den Boden grub. Es schien, als wollte sich die
Erde dem Unwetter ergeben.
Seit den Abendstunden zog der Sturm ein weiteres Register seines
Könnens: Unaufhörlich jagten sich Blitz und Donner
gegenseitig in einem Tempo, welches die Menschen hierzulande
zusammenrücken ließ. Ihre Sorge galt nicht mehr der
weggeschwemmten Ackerkrume. Vielmehr hatte die rohe Naturgewalt die
Bewohner überrascht. Irgendetwas war anders als bisher und
dieses
„Anders“ grub die Furcht mit jedem Donnerschlag
tiefer in
die Gesichter der Menschen.
Hoch oben, auf einem der größten Hügel
Monshires,
trotzte ein massives Gebäude wacker dem Sturm. Das Unwetter
ließ das Anwesen anhand seiner Umrisse erahnen, die immer
dann
für einen Wimpernschlag aufleuchteten, wenn die Blitze am
düsteren Himmel zuckten.
Es war die „Abtei des Mondes“, die von den
„Priestern
der alten Zeit“ bewirtschaftet wurde. Keiner
außerhalb des
Walls, der die Abtei umgab, wusste Genaues über das Kloster.
Das
Einzige, was bekannt war, war die Tatsache, dass die Priester der
Mondgöttin Selene unterstanden.
Fröstelnd patrouillierte ein junger Mann auf dem drei Meter
hohen
Wall. Er sprang hin und wieder von einem Fuß auf den anderen,
um
sich ein wenig warm zu halten. Rotz tropfte seit einer Ewigkeit aus
seiner roten Nase. Die Gesichtsmuskeln waren dermaßen
unterkühlt, dass er sie kaum noch bewegen, geschweige denn
überhaupt großartig spüren konnte.
Das Einzige, was ihn einigermaßen vor dem unnachgiebigen
Schauer
und dem kalten Wind, der ihm um die Ohren pfiff, behütete, war
sein Priestergewand. Im Vergleich zu den Gewändern der meisten
anderen war seines jedoch nicht blau und prunkvoll gestaltet, sondern
grün und schlicht.
Die Farbe der Kleidung gab Aufschluss über den Stand, welchen
er
innerhalb des Clans hatte. Der Bursche war mit neun Jahren von seinen
Eltern hierher geschickt worden und lebte seitdem inzwischen sechs
Jahre hier. Er befand sich inmitten der Ausbildung und hatte eine lange
Lehrzeit vor sich, um so weise und besonnen zu werden, wie die Meister
in ihren blauen Gewändern.
Nur einer trug die Farbe des Abendrotes, das Oberhaupt des Clans, der
Hohepriester Sa de Fra.
Die linke Hand hatte der Jüngling namens Jin tief in dem
langen
Trompetenärmel seiner Kutte verborgen. Die vor Kälte
tauben
Finger der rechten Hand krallten sich verzweifelt in sein
Hütchen,
um es im Sturm nicht zu verlieren.
Das gewaltige Grollen des Himmels ließ seinen Körper
erzittern. Solch eine Naturmacht war ihm nicht geheuer.
Es fiel ihm schwer, die Augen offen und Ausschau zu halten. Regen und
Wind peitschten ihm ununterbrochen ins Antlitz. Fast die gesamte Zeit
blinzelte er durch die Augenschlitze und
versuchte bestmöglich die Umgebung zu überwachen. Und
da
seine Augen zu den schärfsten gehörten - immerhin war
die
Mehrheit der ansässigen Männer alt und dadurch ihre
Sicht
bereits getrübt - war er der erste, der eine
Veränderung
außerhalb der Mauer bemerkte. „Da draußen
ist
wer...“
Kraftlos näherte sich eine bis aufs Mark durchnässte
Person
dem Kloster. „Noch ein Stückchen...“,
murmelte sie
erschöpft.
Jin beugte sich etwas über die steinige Brüstung, um
festzustellen, ob seine Augen ihm am Ende nicht ein Schauspiel
vorgaukelten. Eine Person bei diesem Wetter an diesem Ort?
Dennoch, tatsächlich. Da kam jemand.
Jins erste Worte glichen einem Piepsen. Er hörte sich selbst
kaum,
räusperte sich kräftig und schrie abermals lauthals:
„Öffnet die Pforten!“
Der Bursche erntete verwunderte Blicke seiner Kameraden. Nichts tat
sich, weil Jin auf Grund seines Status als Grünschnabel galt
und
sie in der Dunkelheit und dem Gewitter nichts erkannt hatten.
„Dort draußen ist ein
Mädchen!!!“, drängte
Jin verzweifelt, forderte beinahe, ihr unverzüglich Einlass zu
gewähren.
Er konzentrierte sich völlig auf die Näherkommende,
deren Haare wild vom Sturm zerzaust wurden.
Kurzzeitig vergaß er seine Körperbeherrschung. Die
Finger
lockerten sich. Das Hütchen wurde ihm fortgerissen. Er wollte
danach greifen, musste stattdessen Acht geben, dabei nicht
über
die Brüstung zu fallen.
Den Wachposten am großen Tor entging die Aufregung des Jungen
nicht. Sie schienen sich recht sicher zu sein, dass es sich um keinen
Scherz handelte. Somit lockerten sie die Seile, um den waagerechten
Balken abnehmen zu können, der das Tor verbarrikadierte. Er
war so
schwer, dass allein vier starke Männer Probleme hatten, ihn
beiseite zu schaffen.
„Wartet!“, erhob sich eine entschiedene Stimme. Sie
gehörte zu einem der Ältesten, dessen Worte
dementsprechend
von vornherein mehr Beachtung fanden. „Vielleicht ist es ein
Hinterhalt... Womöglich wieder dieses Dreckspack von
Gaunern.“ Für seine misstrauische Haltung und
abschätzige Wortwahl war der Greis wohl bekannt, weshalb ihn
alle
heimlich Grimm nannten. Er musste ständig seine grimmige Ader
ausleben.
Der Alte war ein verbitterter Mann seitdem er sein linkes Bein vor
langer Zeit in einem sinnlosen Krieg verloren hatte. Aus Schmach zog er
sich zurück und fand den Weg ins Kloster. Das fehlende Bein
wurde
durch ein einfaches Holzbein ersetzt. Das
regelmäßige
Aufschlagen des Stockes am Boden kündigte sein Kommen an,
bevor er
zu sehen war.
Grimm war über achtzig Jahre alt und trug ein blaues Gewand.
Er
ließ von seiner Weisheit wenig erkennen, wenn
überhaupt
etwas davon vorhanden war, wie die Jünglinge ab und zu
spotteten.
Grimm wartete auf den Tod und bis dieser Tag kommen würde,
ging er
seinem einzigen Lebenstrieb nach, seiner selbstzugewiesenen Aufgabe:
Kontrolle und Ordnung schaffen. Grimm war hart, gerade was die
Verletzung von Regeln betraf. Würde man ihn frei walten lassen
wie
er wollte, wäre die Welt seines Erachtens nach ein bisschen
besser.
„Sie benötigt Hilfe! Schaut doch, sie muss
vollkommen
unterkühlt sein! Wer weiß, wie lange sie unterwegs
ist...“ Grimm blockte den Protest des in seinen Augen
gänzlich unerfahrenen
Jin mit einer strikten Handbewegung ab. Murrend verstummte dieser.
Aus der Richtung, in der das Abteigebäude lag, sah man die
kleine
Flamme eines Windlichtes. Wie ein Hoffnungsschimmer kämpfte
sie
tapfer gegen das Unwetter an. Ihr Licht war bis zu den Posten der
Männer am Tor des Walls zu erkennen.
Ein weiterer Priester kam zu der unruhigen Truppe hinzu, mit einer
Laterne in der linken Hand. „Was ist hier los? Warum wurde
der
Balken entriegelt?“
Jins Augen erhellten sich vor Freude und Erleichterung, als er die
Stimme seines Meisters vernahm. Durch das spärliche Licht
ließen sich die ernsten Gesichtszüge des
großen Mannes
nur erahnen.
Jin hastete die glitschige, steinerne Treppe der Mauer hinab, rutschte
die letzten Stufen aus und polterte hinunter, bis er letztlich im
Matsch vor seinem Meister auf dem Boden lag.
Er rappelte sich innerhalb weniger Sekunden wieder hoch, spuckte den
Dreck aus, wischte sich nebenbei über das beschmutzte Gesicht
und
sprach abgehetzt: „Meister Olong, da
draußen ist ein Mädchen. Sie braucht bestimmt
Hilfe.“
Grimm stand immer noch oberhalb der Mauer und spitzte seine Ohren, um
ja alles oder zumindest vieles zu belauschen. „Vielleicht
wandert
sie“, warf der Greis ermahnend ein. Wenn Grimm zur Wache
eingeteilt war, sollten seine Anweisungen gefälligst befolgt
werden. Hier lebten ausschließlich Männer. Frauen
hatten
seiner Meinung nach in dieser Örtlichkeit nichts zu suchen.
Jins erwartungsvolle Augen starrten den Gläubigen mit dem
Windlicht an. „Meister Olong, bitte helft ihr!“,
beharrte
der Junge flüsternd. Dieser nickte und verkündete
laut:
„Macht das
Tor auf!“
Der verbitterte Grimm knirschte wütend mit den
Zähnen. Was
war aus der einstigen Disziplin geworden? Warum hatte nicht er die
höchste Gewalt? Warum musste dieser Olong ihm so oft in die
Quere
kommen?
Grimm sah seit zig Jahren in dem weitaus jüngeren Olong seinen
Rivalen. Der Alte weigerte sich beharrlich, einzusehen, dass die
Befehle eines jüngeren Lehrmeisters mehr Bedeutung hatten als
seine. Dabei hatte dies seinen Grund.
Olong war mit vier Jahren vor dem Tor der Abtei gefunden worden. Der
Clan nahm ihn auf, lehrte ihn, machte einen hervorragenden
Schüler
und noch einen viel besseren Lehrer aus ihm. Denn Olong
besaß,
was viele Menschen verloren hatten: Herzlichkeit. Olong war
gütig,
weise und stark. Einige munkelten, dass er womöglich der
zukünftige Hohepriester sei, auch
wenn diese Stelle bereits einem anderen versprochen war.
Die beiden schweren Flügel des schwarzen Tores
ächzten, als
zwei Männer sie mühsam nach innen öffneten.
Olong, dicht gefolgt von Jin, lief zügig aus dem Schutz der
Abtei
hinaus ins Freie. „Wo ist sie?“, rief er mit
kräftiger
Stimme, sodass sein Lehrling ihn recht gut verstehen konnte.
Vier aufmerksame Augen durchsuchten ungeduldig die stürmische
Umgebung. Olong schwang die Laterne von einer Richtung in die andere.
Der Sturm wurde zunehmend hartnäckiger.
„Dort, Meister!“, entdeckte Jin die junge Frau. Sie
konnte sich kaum noch auf den Beinen halten.
Die letzten Meter stolperte sie und landete in Olongs Armen, der einen
großen Ausfallschritt eingelegt hatte, um sie
überhaupt noch
greifen zu können. Während sie in seine starken Arme
sank,
bedankte sich das Mädchen mit einem kraftlosen
Lächeln.
„Halt das, Jin!“, drückte Olong ihm die
Laterne in die
Hände. Das schwache Licht zeichnete sich auf dem Gesicht der
Fremden ab. Sie war blass und mager.
Während Olong das Mädchen auf seine Arme nahm,
bemerkte Jin
dunkelrote Flecken auf ihrer eingerissenen Kleidung. War das Blut?
Ermattet bewegten sich ihre Lippen, ohne dass ein Wort hervordrang. Der
Meister sprach sanft: „Du bist in Sicherheit.“
Ihre Augenlider öffneten sich ein Stückchen mehr, als
wollte,
müsste sie unbedingt etwas sagen. Ihre Finger versuchten einen
leichten Druck auf seinen Oberarm auszuüben.
Olong blieb stehen und hielt sein Ohr dicht an ihre Lippen.
Flüsternd brachte sie hervor: „Ich muss zum
Hohepriester.
‚Er’
ist erwacht.“
Olongs Augen weiteten sich erschrocken. Jin entging dieser Blick nicht.
Länger konnte das Mädchen nicht gegen die
Erschöpfung
ankämpfen. Die Umgebung verschwamm. Dunkelheit breitete sich
aus.
Sie verlor das Bewusstsein.
Auszug
aus Kapitel 10 "Sarais Wandlung"
Karkara warf Holz in die Flammen und stocherte mit einem
Stöckchen
auf dem Waldboden herum. Der dünne Ast brach. Karkara
zermalmte
den Zweig mit seiner Hand. Er wirkte verärgert.
„So geht das nicht weiter“, erhob er sich
angespannt. Sarai sah zu ihm.
Karkara fügte hinzu: „Akira und ich, wir
können dich
nicht immer verteidigen.“ Vorwurf und Verachtung lagen in
seiner
Stimme.
Sarai schlang ihre Arme fester um die angewinkelten Beine. Ihr Blick
hielt dem seinen nicht stand, sondern schweifte verunsichert von einer
Seite zur anderen.
Er stand vor ihr. Sie sah immer noch nicht zu ihm hoch, sondern starrte
in die lodernden Flammen.
Karkara setzte unnachgiebig fort: „Wir können uns
nicht
richtig konzentrieren, wenn wir genau wissen, dass du jede Sekunde in
Gefahr schweben könntest. Deine Empfindsamkeit treibt uns in
den
Wahnsinn!“
Du verstehst mich nicht,
Karkara. Hör’ auf damit!
Er packte sie derb an den Oberarmen und schüttelte Sarai, bis
sie
ihm in die Augen blickte. Dann sprach er mit hartem Ton: „Du
gefährdest nicht nur dein eigenes Leben, sondern auch
meins
und
Akiras. Das
nächste Mal stirbt vielleicht einer von uns beiden bei dem
Versuch, dich zu schützen. Letztens hätte
ich fast das
Zeitliche gesegnet.“
Es war die reine Wahrheit, die aus Karkara heraussprudelte. Eine
Wahrheit, die sich wie Messerstiche in Sarais Seele bohrte. Es war das,
wovor Sarai die ganze Zeit Angst gehabt hatte. Das war genau der
Moment, der wohl schon längst überfällig
war. Karkara
würde sie gewiss am liebsten loswerden, weil sie zu schwach
war.
Oder eher vielmehr deshalb, weil sie nicht einmal eine Waffe
berühren wollte, obwohl man dies von ihr verlangte.
Sarai zitterte am ganzen Leib. Sie riss sich energisch von Karkara los,
stieß ihn weg und rannte davon.
Seine Stimme wiederholte sich fortwährend in ihrem Verstand:
„Du
gefährdest nicht nur dein eigenes Leben. Das nächste
Mal stirbt vielleicht einer von uns beiden.“
Das war eine Tatsache, die Sarai immer verdrängt hatte. Aber
Karkara hatte Recht. Durch ihre Schwäche könnte einer
von
ihnen oder gar beide sterben. Es wäre ihre Schuld. Sie
würde
abermals jene verlieren, die sie schützen wollen. Nein, das
musste
ein Ende haben. Das durfte nicht passieren.
Als Akira nach einiger Zeit mit Brennholz zurückkehrte, fand
er nur Karkara am Lager vor, der sich hingelegt hatte.
Akira legte das Holz nieder und fragte: „Wo ist
Sarai?“
Karkara zuckte teilnahmslos mit den Schultern.
Akiras Blick fiel auf das Gepäck: „Wo ist der Bogen,
wo ist der Köcher?“
Dein Leben... Stirbt
einer von uns...
Sie achtete nicht auf den Pfad, schlug sich durch Sträucher
und
Büsche quer durch. Tränen quollen aus ihren Augen.
Sie war
blass und ihr war kalt.
Sie werden sterben, wenn
ich mich nicht ändere! Sie werden sterben... Durch mich.
Ein Vogel saß in der Krone eines Baumes. Er
trällerte sein Lied, zufrieden und glücklich.
Sarai zitterte unaufhörlich, erst recht, als sie nach einem
Pfeil aus dem Köcher griff und ihn an den Bogen anlegte.
Flieg weg!
Sie schauderte derart, dass der Schuss fast gewollt danebenging und der
Pfeil sich in den Stamm eines anderen Baumes bohrte. Aufgeschreckt
flatterte der Vogel davon.
Sarai bekam das Bibbern nicht unter Kontrolle. Ihr Herzschlag pochte in
solch einer Geschwindigkeit, dass es schmerzte.
Ich muss mich
ändern!!! Ich muss!!!
Sie fiel in sich zusammen, knickte um und rollte einen Hügel
hinab.
Es ist meine Schuld. Wegen mir wäre Karkara beinahe gestorben.
Akira könnte der nächste sein. Bis keiner mehr da
ist. Bis
sie alle tot sind.
Sie landete hart im Gestrüpp. Die Glieder taten weh. Wacklig
war
sie auf allen vieren, als ihr Blick einen Hirsch erhaschte. Zwanzig
Meter von ihr entfernt graste er in aller Gelassenheit.
Ich muss mich
ändern...
Ein Zweig brach unter ihren Händen. Das Tier horchte auf. Es
hatte
sie bemerkt. Beide sahen sich an. Doch der junge Hirsch
verspürte
keinerlei Furcht vor dieser menschlichen Kreatur und rupfte weitere
Grasbüschel aus.
Was tust du? Hau ab! Um
Gottes Willen, verschwinde!
Bedächtig rappelte Sarai sich auf. Der innerliche Schauer
verstärkte sich.
Der Hirsch machte keine Anstalten, fliehen zu wollen. Im Gegenteil, er
schien ihr regelrecht zu vertrauen.
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