Zwei Leseproben
zu
"Festung des Teufels: Der Weg zu dir"
(Band 2)
Auszug
aus Kapitel 2 "Das Orakel"
Sie griff nach Pfeil und Bogen, die der Schütze auf dem Fass
abgelegt hatte, bevor er sich unter die Menschenmenge begab.
Den Pfeil angelegt. Den Bogen gespannt. Eines der Mädchen
hatte Sarai im Visier.
Für eure
Lügen.
In dem Moment, als sie gerade die gedehnte Sehne freigeben wollte,
kletterten Bürger und Bauern auf die Tribüne und
versperrten Sarai die Sicht. Der aufgebrachte Pöbel zerrte an
den Zwillingen, um Antworten auf seine eigenen Fragen zu erhalten.
Ab dann verlief alles in Sekundenschnelle. Das Orakel wurde in die
Masse gerissen. Die Soldaten waren machtlos angesichts der
Überzahl der Völker und ersehnten
Verstärkung herbei.
Richard versuchte von seinem Balkon aus die Meute zu beruhigen. Seine
Mühen waren vergebens. Man hörte ihm nicht zu. Die
Angst vor der Rückkehr des Teufels war zu groß.
Sarais Augen suchten rastlos nach den Zwillingen. Nichts zu erkennen,
als hätte die Menschenmasse die beiden verschlungen.
Grimmig biss sich Sarai auf die Unterlippe, legte die Waffe nieder und
drängelte sich mit Einsatz ihrer spitzen Ellenbogen quer durch
die aufgeschreckte Horde.
Pferdegetrappel donnerte über dem steinernen Boden heran. Die
Sondereinheit des Königs war ausgerückt –
eine Truppe, die seit Monaten vorwiegend auf eine Aufgabe angesetzt
wurde: die Mörder etlicher Wahrsager, Propheten sowie Zigeuner
ausfindig zu machen und festzunehmen. Dass sich diese Anweisung auf
Sarai und ihre Gefährten bezog, war der Einheit trotz der
langen Suche unbekannt.
An vorderster Spitze ritt der Anführer der „Freien
Kriegerschaft des Nordens“, der sogenannten FreKaDeN. Das
Alter des Mannes schätzte man auf Ende vierzig, wobei die
angedeuteten Falten in seinem Gesicht auch von dem schneidenden Blick
herrühren konnten.
Sein Name war Ogie Dartan. Die Wurzeln seiner Familiengeschichte
ließen sich bis über dreihundertfünfzig
Jahre zurückverfolgen. Die Dartans dienten vielen Adligen und
Königen
in Gefechten und galten als brutale, fanatische Kämpfer. Ihre
Loyalität gegenüber ihrem Herren blieb fortdauernd
ungebrochen.
Ogie setzte diese Blutlinie getreu fort. Die dunkle Rüstung,
vor allem der mit einem Stier verzierte Brustpanzer, war wie zu einer
zweiten Haut für den Anführer geworden. Sein Schwert,
so hieß es, würde er nicht einmal zum Schlafen
ablegen.
Ogie hatte dunkelblonde, kurz geschorene Haare. Eine kleine,
unübersehbare Narbe verlief über seine linke Wange.
Sein Ruf eines Schlächters eilte ihm stets voraus. Wohin er
und seine Männer auch kamen, fürchteten die Menschen
um ihr Leben. Die FreKaDeN sollten das Volk zwar vor Unrecht
schützen, dafür machten sie gleichermaßen
von jeglichem Unrecht Gebrauch, und sei es Folter, um einen Hinweis zu
ergattern.
Trotz der kursierenden Panik machte man Ogie Dartan auf seinem Rappen
und seiner Gefolgschaft Platz.
Seine Augen durchkämmten die Menge wie die eines Geiers auf
der Pirsch nach Beute. Er war davon überzeugt, dass jene, die
zig Morde zu verantworten hatten, unter dieser Ansammlung
waren. Immerhin galt das Orakel als wichtigster Prophet, und dessen Tod
würden sich diese Verbrecher gewiss wünschen, da sie
ohnehin Jagd auf allerlei Hellseher machten. Das Orakel
wäre für sie eine krönende
Trophäe.
Wonach suchte Ogie? Nach wem musste er Ausschau halten? Er hatte einen
Anhaltspunkt und an diesen klammerte er sich. Einem der Gesuchten hatte
er vor einiger Zeit ins Antlitz
geblickt. Ihm verdankte er seine Narbe auf der Wange und zu allem
Ärgernis war es auch noch eine Frau gewesen. Ihre strafenden
Augen, ihre hartherzigen Gesichtszüge und diesen funkelnden
Anhänger im Schein des Feuers würde er niemals
vergessen.
Er würde es eigenhändig sein, der sie fangen und zur
Strecke bringen würde.
„Veranlasst, dass die vier Tore geschlossen werden! Treibt
die Massen zusammen! Ich will jeden vor mir sehen, der heute in Sagem
zu Gast ist“, wies Ogie seine Männer an, die
sogleich ausschwärmten.
Er zog die Zügel straffer und murmelte überzeugend
vor sich hin: „Ich krieg dich, Mädchen. Verlass dich
drauf.“
Einer von den zweiundzwanzig Kriegern blieb an Ogies Seite.
Wüsste man nicht, dass es sich hierbei um seinen Sohn Diego
handelte, würde man dies keineswegs vermuten. Das Einzige, was
auf eine Verwandtschaft hinweisen könnte, war die Haarfarbe.
Wobei Diegos blondes Haar heller und leuchtender war. Seine Iriden
waren stechend blau und sein Angesicht von Freundlichkeit
geprägt.
Würde es nach Diegos Mutter gehen, wäre er ein Barde
geworden. Ogie steuerte dem jedoch ab Diegos achtem Lebensjahr
entgegen. Schließlich sollte sein Sohn kein Weichei werden,
sondern ein richtiger Mann. Deshalb kümmerte er sich nunmehr
seit neunzehn Jahren um die Ausbildung seines Nachkommens in der
Waffenkunst.
„Wie willst du sie in der Menge finden?“, fragte
Diego seinen Vater. Dieser ignorierte seinen Sohn und suchte besessen
weiter.
Diego bemerkte einen großen Tumult in der Nähe der
Tribüne. Die Soldaten des Königs gewannen keine
Oberhand über die aufgeschreckten Völker.
Diego trieb seinen Schimmel direkt in die Masse hinein, die daraufhin
auseinander sprang, um nicht von den Hufen des Pferdes getroffen zu
werden. Die Zwillinge kamen unter der sich aufbrechenden Dichte von
Menschen zum Vorschein. Völlig verängstigt, nach Atem
ringend und mit zerrissener, beschmutzter Kleidung kauerten sie
beieinander.
Diego stieg ab, half den beiden auf sein Pferd und führte das
Orakel aus dem Gewühl heraus.
Die Soldaten spuckten verächtlich aus. Warum hatte das Volk
mehr Respekt vor einem der FreKaDeN als vor ihnen?
Von seinem Rappen aus hatte Ogie eine gute, erhöhte Sicht.
Andersherum konnte man ihn ebenso gut erkennen. Sarai tat es sofort.
Sie schlug augenblicklich die Gegenrichtung zu ihm ein und hoffte, dass
die Schar ihr genügend Deckung geben würde.
[...]
Da ertönte Ogies anfeuernder Ruf, der dem Pferd galt:
„Heja!“
Sarai blickte aufgeschreckt zurück. Der Reiter hatte die
Zügel herumgerissen und spornte sein Tier aufgeregt an. Er
hatte sie im Visier. Sarai rannte los. Der Rappe hetzte auf sie zu. Der
Wind riss die Kapuze zurück. In Sekunden hatte Ogie sie
eingeholt. Er zog sein Schwert und versetzte ihr mit dem Knauf der
Waffe einen kräftigen Schlag in den Nacken. Sarai
stürzte.
Der Rappe bäumte sich wiehernd auf. Ogie hielt sich
triumphierend im Sattel. Zwei Männer seiner Gefolgschaft
ergriffen die leicht benommene Sarai und stellten sie auf ihre
wackligen
Beine.
Ogie stieg von seinem schnaubenden Pferd ab. Er führte sein
Schwert zurück in die Scheide und löste eine schwarze
Peitsche vom Sattel. Mit deren Griff drückte er Sarais Kinn
nach oben, sodass sie ihn ansehen musste.
„Kein Zweifel, das Gesicht würde ich
überall erkennen. Erinnerst du dich noch an meine Narbe? Die
habe ich dir zu verdanken. Jetzt bin ich an der Reihe mich zu
revanchieren. Es ist mir eine Ehre dich nach all der Zeit endlich
festnehmen zu dürfen. Die Liste deiner Verbrechen ist
lang.“
„Ihr habt nichts gegen mich in der Hand“,
entgegnete sie so selbstsicher, wie die hämmernden Schmerzen,
die vom Nacken aus in ihren Kopf strömten, es
zuließen.
„Mein Wort genügt. Du wirst hingerichtet und deine
Freunde auch.“ Sie spuckte ihn verächtlich an. Er
schlug ihr ins Angesicht.
„Abführen!“
Auszug
aus Kapitel 3 "Gesetzlos"
Die FreKaDeN waren komplett überwältigt worden. Dies
war nicht nur eine peinliche Niederlage, für Ogie war es eine
Beleidigung, der er Rache schwor.
Der Dunkelhaarige, welcher Ogie in Schach hielt, forderte einen seiner
eigenen Leute auf: „Übernimm den hier!“
Der angesprochene Rotschopf stichelte amüsiert:
„Wirst du nicht mit
ihm fertig?“
Der Erstere drückte seinem Mitstreiter die Waffe in die Hand.
Der Rothaarige stand nun Ogie gegenüber und scherzte:
„Da ihr das Essen so gut bewachen lasst, ist es uns eine noch
größere Ehre, es euch abzunehmen.“
Ogie guckte ihn fassungslos an. Es ging gar nicht um Sarai. Diego hatte
recht behalten. Sie hätten den risikolosen Umweg nehmen
sollen. Der Überfall galt dem Greis mit seinen
Nahrungsmitteln.
Der Rotschopf nahm dem verdutzten Ogie einen Schlüssel ab und
warf diesen dem Schwarzhaarigen mit den Worten zu: „Das hast
du vergessen.“
Der Angesprochene fing den Schlüssel, nickte und stellte sich
erwartungsvoll vor die Türen des Karrens.
Während die Gesetzlosen sich einen Spaß daraus
machten, die Rüstungen der FreKaDeN auf einem Haufen zu
sammeln und die Männer aus Sagem in Unterwäsche an
den Bäumen anzubinden, verkündete der Dunkelhaarige
voller Vorfreude: „Heut gibt’s bestimmt was
Ordentliches zu essen, Jungs.“
„Wir haben kein Essen geladen!“, stampfte Ogie
zornig. „Macht die Türen nicht auf!!!“ Der
Hauptmann kochte vor Wut. Er war derart fest angebunden worden, dass er
sich kaum bewegen konnte.
Der Schwarzhaarige entriegelte derweilen das Schloss und riss die
beiden Türen des Fuhrwerks auf. Ein plätzlicher,
kräftiger Tritt aus der Dunkelheit des Lagerraums brachte ihn
für einen Moment zum Torkeln. Eine Gestalt setzte im Salto
heraus, landete sicher auf den Füßen, sah
flüchtig zu dem Schwarzhaarigen zurück und rannte
davon.
Die anderen Gesetzlosen waren sich unklar, ob sie lachen durften oder
es lieber bleiben lassen sollten. Man kannte das aufbrausende
Gemüt des Schwarzhaarigen. Der Rotschopf jedoch lachte
lauthals.
„Haltet sie auf!“, wetterte Ogie und zappelte wild
herum.
Der Schwarzhaarige, zunächst irritiert, verfolgte sie
augenblicklich.
Na
warte, du Göre, dich krieg ich!
Anhand der Stimmen hatte Sarai gewusst, dass dies keine Rettungsaktion
ihrer Freunde war. Auch gut, wer weiß, wie sie ausgegangen
wäre ...
Sarai rannte so schnell sie konnte – wenn nötig,
sogar durch Büsche und Sträucher hindurch. Hier und
da zog sie sich Kratzer zu.
Nach mehreren Minuten gönnte sich die Ausreißerin
eine kurze Verschnaufpause. Sarai lehnte sich hechelnd mit dem
Rücken an einen Baumstamm. Sie müsste einen
ausreichenden Vorsprung haben. Sicherheitshalber schaute sie noch
einmal zurück.
Der Schwarzhaarige war dreißig Meter von ihr entfernt. Wie
konnte er sie dermaßen schnell und präzise einholen?
Sarai stürmte wieder los, ihr Verfolger ihr nach. Er war
schneller, warf sich auf sie. Beide rollten über den Erdboden.
Letztlich hatte der Mann sie nach unten gedrückt, umschloss
mit seinen Schenkeln ihre Hüfte und beugte sich über
sie.
Sekunden starrte er in ihre meeresblauen Iriden.
Seine Atmung war schwer. „Sarai?!“ Er zog sein Tuch
hinunter, welches Nase und Mund bedeckte.
Karkara.
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